Einstürzende Neubauten

Refik Anadol Stern-Center

Einstürzende Neubauten: So überformt Refik Anadol die Fassade an der Rückseite des Stern-Centers.

von Wolfgang Teipel

Refik Anadol  liebt die deutsche Küche. Einige Tage lang durfte der türkische Licht- und Mediendesigner in Lüdenscheid Hausmannskost genießen. Am Sonntagmorgen saß er dann schon wieder im Flugzeug auf dem Weg ins das Land von Burger King und McDonalds. Die LichtRouten-Installation des 28-Jährigen bleibt den Freunden des Internationalen Forums für Licht in Kunst und Design allerdings noch bis zum 6. Oktober erhalten.

Spiel mit der Wahrnehmung

„Und das ist gut so“, möchte man mit einem Zitat eines bekannten Berliner Regierenden Bürgermeisters betonen. „Semaphore“, von der Thünentreppe aus an der Rückseite des Stern-Centers zu sehen, ist ein bezauberndes Spiel mit der Wahrnehmung.

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Refik Anadol lebt und arbeitet in Los Angeles.

Refik Anadol, in seiner neuen Heimat Los Angeles ein Star unter den Lichtdesignern, überformt die triste Betonfassade mit einer faszinierenden digitalen Projektion. Die öden Mauern verschwinden unter freien Formen, manchmal erscheint der Beton transparent, dann wieder bewegen sich einzelne Elemente im freien Spiel. Anadol könnte die Fassade wahrscheinlich auch komplett einstürzen lassen. Mit Rücksicht auf den 20. Geburtstag, den das Einkaufscenter in diesen Tagen feiert, hat er auf solch weitreichende Aktionen verzichtet.

16 Minuten dauert die von Soundeffekten begleitete Sequenz. Im ersten Moment erscheint das vielen Besucher als reichlich lang. Dann lassen sie sich einfangen von den einstürzenden Neubauten. Mancher bleibt sogar gern länger und gönnt sich eine zweite Runde.

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Der Semaphor in der Wesermündung vor Bremerhaven wurde 1893 errichtet.

Zu Recht. Das Wechselspiel zwischen analoger Architektur und digitaler Überformung übt einen ganz besonderen Reiz aus. Etwa wie die Op-Art in den 60er Jahren. Damals erzeugten die Op-Art-Künstler mit Hilfe präziser abstrakter Formmuster und geometrischer Farbfiguren beim Betrachter überraschende oder irritierende Effekte, die die Vorstellung von Bewegung, Flimmereffekten und optische Täuschungen hervorriefen. Bekannte Op-Art-Vertreter sind Günther Uecker, Heinz Mack oder auch Josef Albers. In dieser Kunst der Täuschung liegen die Wurzeln von Refik Anadol.

Begriff aus der Informatik

„Semaphore“, der Titel des Werks, bedarf ein wenig der Aufklärung. Der Begriff ist der Informatik entnommen. Er bezeichnet eine ganz spezielle Datenstruktur. Sie verhindert, dass sich parallel laufende Prozesse gegenseitig behindern.

Die Bezeichnung Semaphor ist allerdings weitaus älter als die Informatik. So heißen in der Fachsprache die Windrichtungs- und Windstärkeweiser, die Schiffskapitänen vor dem Einlaufen in ihren Zielhafen wichtige Hinweise lieferten. Einer der bekanntesten Semaphoren in Deutschland steht noch heute in der Wesermündung vor Bremerhaven.

Gern gesehener Gast

Refik Anadols Installation ist ebenfalls wegweisend für die Weiterentwicklung in Licht- und Mediendesign.  In welche Richtung? Für den jungen Künstler aus Los Angeles auf jeden Fall immer weiter nach vorn. „Er hat ja noch so viel Zeit“, sagte eine Besucherin. In Lüdenscheid wäre er sicher erneut ein gern gesehener Gast. Übrigens Refik: Deutsche Hausmannskost gibt es ganz sicher auch bei den nächsten LichtRouten.

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