„Studio 19“ mit den „Lords“ eröffnet

1968-02-28 Eröffnung mit Lords

Bei der Einweihung des „Studio 19“ im Februar 1968 spielten die „Lords“, damals Deutschlands bekannteste Band. (alle Fotos aus dem Besitz von Michael Nürenberg)

Eines der ersten Jugendlokale im Kreis war das „Studio 19“. Zwischen Humboldt-, Cornelius- und Kerksigstraße erstreckt sich heute ein großer Wohnblock der „Lüdenscheider Wohnstätten“. Bis vor vierzig Jahren war an dieser Stelle noch der Komplex der ehemaligen Firma Noelle, ein Stück Industriegeschichte, das zu diesem Zeitpunkt aber bereits leer stand.

Jugendkultur im Kellerwinkel

In einem Kellerwinkel dieses Areals aber hatte von 1968 bis 1972 ein wichtiges Stück heimischer Jugendkultur seinen Platz: das „Studio 19“. Von ihm erzählt das gerade erschienene Buch von Dietmar Simon und Michael Nürenberg („Die besten Tage unseres Lebens“); herausgegeben vom „Geschichts- und Heimatverein“. Das Buch ist Ende November erschienen. Bis Mitte Dezember war bereits die Hälfte der Auflage verkauft.

Name ursprünglich für Jazz-Club

Der Name dieses ersten Lüdenscheider Lokals für junge Leute bezeichnete ursprünglich den heimischen Jazz-Club, der 1959 in dessen erstem Domizil entstand, einem Raum unterhalb der Turnhalle des Zeppelin-Gymnasiums. Als dieser anderweitig gebraucht wurde, bot der an Jazzmusik interessierte Unternehmer Hans Dichter den jungen Musikern und Musikbegeisterten ein paar Räume neben seiner Firma an.

1968-02-28 Studio 19 Theke 01 - MN

Bis zu 200 Besucher drängten sich in die engen Clubräume.

Untitled

Die Gruppe Insterburg & Co. verewigte sich mit dieser Zeichnung im Gästebuch des Clubs.

Gegenüber lag die Kerksighalle. Gottfried Schumann, der neue Stadtjugendpfleger, etablierte dort für die Jugendlichen ein vielfältiges Programm und bot dem Verein 1966 im Obergeschoss eine neue Heimat an, ebenso wie jungen Bands auf der Suche nach Übungsräumen. Mit Hans-Dieter Pohlenz („Olly“) vom Jazz-Club verstand er sich gut. Schon bald beschlossen die beiden, wieder in den Noelle-Komplex zurückzukehren.

Mini-Einstiegsluke

Gemeinsam mit einigen Helfern richteten sie die Räume neu ein. Spektakulär war die Einstiegsluke (zirka 1 mal 1 Meter groß). Durch den winzigen Zugang mit Eisentreppe konnten sich die Besucher fortan in den Keller an der Kerksigstraße zwängen. Weit über 200 Menschen fanden darin Platz. Es gab zwar zwei normale Notausgänge, doch heute würde solche Konstruktion mit Sicherheit nicht mehr genehmigt.

Jugendamt kontrollierte

Am Karnevalswochenende im Februar 1968 war es dann soweit:  Das „Studio 19 – Club für junge Leute“ wurde eingeweiht. Los ging es mit einem kurzen Konzert der „Lords“, der bekanntesten Beat-Band, die es damals in Deutschland gab. Fortan war die „Katakombe“, wie man die Räume bald nannte, Treffpunkt für Jugendliche ab 16 Jahren. Nach 22 Uhr erhöhte sich die Altersgrenze auf 18, und wenn das Jugendamt mal kontrollieren kam, flüchteten die Jüngeren in die Küche oder den Hof. Viele Beatgruppen aus der Stadt und ihrer Umgebung traten an den Wochenenden auf, von den „Blackjets“ aus Altena bis zu „The Ihm“ aus Iserlohn. Zweimal wöchentlich wurde das Programm im „Studio 19“ vom Jazz-Club gleichen Namens gestaltet.

Ali Claudi schon damals zu Gast

Freitags waren regelmäßig Jazzmusiker aus anderen Städten und internationale Stars wie u.a. Monty Sunshine  zu Gast, beispielweise Ali Claudi, der seitdem bis heute immer wieder gerne nach Lüdenscheid kam. Ansonsten wurden Schallplatten aufgelegt, vor allem von Arndt Marburger, Frank Hesse oder Michael Nürenberg, die jahrelang als Disc-Jockeys fungierten. Dazwischen gab es Cola und die berühmten Frikadellen von „Mutter“ Eleonore Pipahl.

Der Jazzclub fand 1970 im „Beanery“ am Bräucken eine neue Heimat. Das „Studio 19“ blieb auch ohne die Jazzer noch eine Weile erhalten. Aber 1972 öffnete sich die Luke zum letzten Mal. Im Zuge der Altstadtsanierung war anderes mit dem Areal geplant, und so war nach Schluss mit der „Katakombe“.

„Die besten Tage unseres Lebens“ ist erhältlich an der Info-Theke im Rathaus, in der Buchhandlung Thalia sowie über den Geschichts- und Heimatverein, www.ghv-luedenscheid.de (ISBN 978-3-981325-2-0). Das Buch kostet 19,80 Euro.

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Blütezeit mit „Gotti“ Schumann

Ansturm vor der Bühne der Schützenhalle: Hier spielten die großen Bands. (alle Fotos aus dem Besitz von Michael Nürenberg)

von Wolfgang Teipel

Die besten Tage unseres Lebens – das war für viele Lüdenscheider die Zeit von 1960 bis 1980. Bands schossen aus dem Boden, überall war was los. Es war die Ära der Rockkonzerte in der Schützenhalle und die Epoche, in der Stadtjugendpfleger Gottfried „Gotti“ Schumann mit jungen Leuten Europa bereiste. Kinder rebellierten gegen die Eltern. Das gesellschaftliche und kulturelle Leben in der Bundesrepublik Deutschland veränderte sich nachhaltig. „Die besten Tage unseres Lebens“ – das ist auch der Titel eines Buches von Dietmar Simon und Michael Nürenberg.

Wie es damals war

Es ist der Jugendkultur in Lüdenscheid vom Anfang der 60er bis zum Ende der 70er Jahre gewidmet. „Es verfolgt keinen wissenschaftlichen Anspruch, son­dern will möglichst viele interessierte Menschen erreichen, sowohl diejenigen, die in den Jahren um 1970 Jugendliche waren als auch ihre Nachkommen, die wissen möchten, wie es damals war“, heißt es in einem Exposé zu dem 288 Seiten starken Band. Der Titel ist aus dem Bryan-Adams-Song „Summer of  ‘69“ entnommen.

1967-00-00 Beat-Wettbewerb mit Jurytisch

Die Lüdenscheider Band „Hi-You-There!“ mit den Bracht-Zwilligen und den Wever-Brüdern bei einem Beat-Wettbewerb in Lüdenscheid. Vor der Bühne ist der Jury-Tisch zu sehen.

Nach rund dreijähriger Recherche stellen die beiden Autoren das Buch (Herausgeber ist der Geschichts- und Heimatverein Lüdenscheid) in der Stadtbücherei (Freitag, 29. November, ab 16 Uhr) der Öffentlichkeit vor.

Fast 1000 Fotos und andere Bilder

Dietmar Simon und Michael Nürenberg haben die lokale Presse und andere schriftliche Quellen aus dieser Zeit ausgewertet. Sie haben einige Dutzend von Zeitzeugen befragt. Diese Frauen und Männer berichten über ihre Erlebnisse und Erfahrungen aus den besten Tagen ihres Lebens. Dazu gibt es jede Menge Anschauungsmaterial. Das Buch enthält fast 1000 Fotos und andere Bilder. „Schon mit dem ersten Aufruf 2010 haben wir eine Lawine losgetreten“, erinnert sich Michael Nürenberg.

1968-02-28 Studio 19 - _Udo Scholz - MN

Gotti Schumann (links) 1968 bei der Eröffnung des Studio 19 an der Kerksigstraße mit Lord Uli und dem damaligen Manager Udo Scholz aus Brügge.

Tausende beeinflusst

Die Autoren orientieren sich an der Dienstzeit von Stadtjugendpfleger Gottfried Schumann. Er sorgte von 1965 bis 1976 maßgeblich dafür, dass sich die örtliche Jugendkultur stark entwickelte und Tausende junger Menschen davon beeinflusst wurden.

Große Bedeutung hatte die neue populäre Musik. In Lüdenscheid entwickelte sich zusätzlich zur bestehenden Jazzszene starkes Interesse an der Beatkultur. Oft argwöhnisch betrachtet von den Erwachsenen, fanden sich Jugendli­che zu „Beatbällen“ zusammen, gründeten eigene Bands und verbrachten ihre Freizeit mit dieser Musik und ihren Begleiterscheinungen. Um 1970 ent­wickelte sich dies zur Kultur der Rockmusik weiter.

Zentrum der Beat- und Rockmusik

Lüdenscheid wurde zu einem Zentrum der Beat- und Rockmusik in Westdeutschland. Bis 1970 war die Stadt Schau­platz von Auftritten internationaler Bands wie den „Kinks“, den „Equals“ und „Shocking Blue“ (und deutscher Gruppen wie den „Lords“ und den „Rattles“). In den Jahren danach folgten zahllose Gastspiele von namhaften Vertretern der progressiveren Rockmusik  (z. B. „Deep Purple“, „Eloy“, „Can“, „Ekseption“). Erst Mitte der 70er Jahre ver­lagerten sich die Veranstaltungsorte bekannter Musiker in die größeren Städte. Parallel dazu entwickelte sich die einheimische Musikszene.

Das neue Terrain neben der sogenannten Hochkultur enthielt auch anderes. So wurde Lüdenscheid 1968 auf Schumanns Initiative zum Schauplatz eines „Eu­ropäischen Jugendfestivals“. Es stellte einen gewissen Kontrapunkt zur 700-Jahr-Feier der Stadt Lüdenscheid dar. Im „Studio 19“, einem neuen Musiklokal, blieben junge Leute weitge­hend unter sich.

Jugend aktiver als je zuvor

Schumann organisierte Rei­sen in andere europäische Länder, nach England, in die Tschechoslowakei, nach Rumänien, Jugoslawien und Spanien. Auch die Veränderungen der politischen Alltagskultur gingen an Lüden­scheid nicht vorbei. 1968 bildete sich auch hier eine „APO“. In der Schule und im öffentlichen Leben wurden junge Leute aktiver als jezuvor.

Kommunalpolitik kritisch

Die Arbeit von Gottfried Schumann zog Jugendliche und junge Erwachsene stark an. Die Kommunalpolitik entwickelte allerdings in der ersten Hälfte der 70er Jahre eine kritische Haltung. Jugendpflege sollte mehr sein als nur die Veranstal­tung von Konzerten und Reisen. Dazu kam Schumanns unbüro­kratische Art. Sie führte zu Widerständen in der städtischen Verwaltung. „Gotti“ zog sich schließlich zu Beginn des Jahres 1977 aus dem Amt zurück. Das war das Aus für „die besten Tage unseres Lebens“.

Die Zeit nach der Ära Schumann wird übereinstimmend als eine Phase des Niedergangs der Jugendkultur in Lüdenscheid beschrieben.

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