Sie bringen die LichtRouten auf die Bretter

DSC_0523

Ob Radlader oder Besen: Lüdenscheider Handwerker packen bei den LichtRouten mit an. Dabei sind neben Björn Gürtler und Thomas Matschulat auch Dietmar Wacker, Martin Frank und Dirk Woeste. Foto: Wolfgang Teipel

Im verlassenen Damrosch-Komplex an der Bahnhofsallee herrscht wieder Leben. Elektriker, Gerüstbauer, Mitarbeiter einer Bau- und Möbeltischlerei und weitere Männer machen sich hier zu schaffen. LichtRouten-Kurator Tom Groll blickt in die Runde. „Das sind die Leute, die die Künstler auf die Bretter bringen“, sagt er. Ohne ihre Unterstützung müsste so mancher auf Strom und andere Dinge warten. „Inzwischen sind wir ein eingespieltes Team“ bekräftigt Tom Groll. Das bestätigen Björn Gürtler (Elektro Gürtler), Thomas Matschulat (Gerüstbau Matschulat), Dietmar Wacker (Bau- und Möbeltischlerei handWERK 4), Martin Franke (Hof und Garten) sowie Dirk Woeste (Baumschule Woeste) gern. Sie und ihre Mitarbeiter packen seit Jahren mit an, wenn bei den LichtRouten Handwerker gefragt sind.

Etat wird entlastet

„Ohne die Unterstützung dieser Sponsoren wären die LichtRouten kaum möglich“, erklärt Jörg Marré, Geschäftsführer des Lüdenscheider Stadtmarketing (LSM). Das Engagement der Unternehmen entlaste den Etat für die LichtRouten. Jeder Cent, der bei den Vorbereitungen eingespart werden könne, fließe in die künstlerische Ausgestaltung des Internationalen Forums für Licht in Kunst und Design vom 27. September bis 6. Oktober.

Männer räumen Schutt beiseite

Zurzeit wird der verlassene Damrosch-Komplex hergerichtet. Die Männer räumen Schutt beiseite, entfernen etwaige Stolperfallen und kümmern sich um die Stromversorgung. Dass ein Stromzähler, der noch vor einigen Wochen in der großen Halle hing, inzwischen verschwunden ist, erleichtert die Arbeit nicht.

Wenn Audrey Rocher und Roland Devocelle anreisen, um ihren Beitrag zu den LichtRouten zu installieren, wird alles perfekt sein. Der Künstlername des Duos lautet übrigens „Atsara“. Atsara projiziert geometrische Farb- und Formsysteme auf organisch-geformte Drahtgebilde. Wo das projizierte Bild auf reflektierenden Draht trifft, wird es sichtbar, ein großer Bildanteil verschwindet in der dunklen Umgebung. Die animierten Strukturen und Systeme zerfallen in Bildausschnitte, die über die Drahtgebilde zu fließen scheinen. Zweiter im Bunde ist der Berliner Künstler Max Sudhues. Er nutzt die kleinere Halle. Er präsentiert eine Art visuelles Kaleidoskop. Grundlage sind Fundstücke und Aufnahmen aus der verlassenen Holzhandlung.

Gesucht und gefunden

Die LichtRouten und die Handwerker-Teams haben sich gesucht und gefunden. Musste Tom Groll bei den ersten Veranstaltungen noch Helfer aus städtischen Betrieben rekrutieren, so kann er inzwischen auf die eingespielte Crew zurückgreifen. „Lüdenscheid ist eben eine tatkräftige Stadt bei solchen Dingen“, sagt LSM-Geschäftsführer Jörg Marré.

Feuerwerk bei Tag und Nacht

Otto Piene Feuerwerk für Celle1

Otto Pienes Feuerwerk für Celle bei Nacht. Foto: @Julia Otto

von Wolfgang Teipel

Ein 85-Jähriger kann nicht mehr auf allen Hochzeiten tanzen. Dass Otto Piene, der in den USA lebt, nicht persönlich zu den LichtRouten 2013 erscheinen würde, war den Kuratoren schon länger klar. Dass er seine Beteiligung komplett abgesagt hat, bedauern die Kuratoren Bettina Pelz und Tom Groll bei allem Verständnis für diese Entscheidung.

Feuerwerk für Celle

Otto Piene_Feuerwerk für Celle_Foto@Julia Otto

Otto Pienes Feuerwerk für Celle am Tag. Foto: @Julia Otto

Interessenten können aber bei einem Besuch des Kunstmuseums Celle mit der Sammlung Robert Simon die Lücke schließen, die Pienes Absage bei den LichtRouten 2013 hinterlassen hat. Einer der Glanzpunkte in diesem Museum ist nämlich der von Otto Piene speziell für Celle errichteten „Lichtraum“.

Der Mann aus Bad Laasphe, der in den 1960er Jahren mit seinen Aktionen für Aufsehen sorgte, gestaltete auch den Lichtfries „Zone Zero“ und das monumentale Skulpturenpaar „Feuerwerk für Celle“. Pienes Kreationen gehören neben Arbeiten von Brigitte Kowanz, Klaus Geldmacher, Francesco Mariotti, Vollrad Kutscher (in diesem Jahr bei den Lüdenscheider LichtRouten) und Leonardo Mosso zu den Höhepunkten des nächtlichen Lichtparcours im Außenbereich des Museums.

Einzigartiges Konzept

Die Einrichtung in Celle nennt sich selbst das erste 24-Stunden-Kunstmuseum der Welt. Das einzigartige Museumskonzept ist beim Deutschen Marken- und Patentamt in München registriert (Nr. 39854828).

Morgens, mittags, abends und nachts bietet das Kunstmuseum Celle (www.kunst.celle.de) Begegnungen mit moderner und zeitgenössischer Kunst aus der Sammlung von Robert Simon und wechselnde Sonderausstellungen.

Robert Simon (Jahrgang 1946) arbeitete seit dem 26. Lebensjahr in Führungspositionen der deutschen Wirtschaft. 1998 initiierte er in Celle das einzigartige Museumskonzept. Der Hannoveraner Galerist und Kunstsammler engagiert sich als ehrenamtlicher Leiter des Kunstmuseums.

Otto Piene zählt zu den Vorreitern der Lichtkunst. Sein Werk besitzt drei bekannte Eckpunkte: Die Feuerbilder, die Lichtballette und die Himmelskunst (Sky Art). Zu den bekanntesten Werken seiner Sky Art zählt der 700 Meter Meter lange „Olympia-Regenbogen“, der sich am 11. September 1972 über den See des Münchener Olympia-Geländes spannte.

Hochspannung am Wiedenhof

LR Wiedenhof (2)

Die Kuratoren Bettina Pelz und Tom Groll freuen sich über die Unterstützung durch das Team vom Wiedenhof: Alexander Schmidt, Kara Kempkens, Arne Schulz und Franz Hochschuh beteiligen sich an der Vorbereitung der LichtRouten 2013 am Standort Wiedenhof. Foto Wolfgang Teipel

 

von Wolfgang Teipel

Die Neugier beim Leitungsteam des Wiedenhofs ist groß. Was wird die Zusammenarbeit mit den LichtRouten 2013 und im speziellen mit dem polnischen Lichtkünstler Robert Sochacki dem Domizil des Freien Christlichen Jugendgemeinschaft (FCJG) bescheren? „Wir haben unsere Werte“, sagt Einrichtungsleiter Arne Schulz. Dämonenfratzen oder Ähnliches – das geht nicht. Ob Robert Sochacki in Lüdenscheid tatsächlich ausschließlich Gottgefälliges zeigen wird?  Bettina Pelz und Tom Groll, die beiden Kuratoren des großen Lichtkunstforums vom 27. September bis 6. Oktober, müssen die FCJG-Leute noch um Geduld bitten. „Wir wissen es selbst noch nicht.“

Pinup-Girls und Kunst

Robert Sochacki ist allerdings nicht dafür bekannt, dass er die Werte anderer missachtet, auch wenn das ein oder andere Mal ein leicht bekleidetes Pinup-Girl in seinen Installationen erscheint. Den Mail-Kontakt zwischen dem Wiedenhof-Team und dem polnischen Künstler will Bettina Pelz aber gern herstellen. Arne Schulz und seine Leute wollen auf Nummer sicher gehen. Schließlich wird der Mann aus Danzig die komplette Fassade des soeben renovierten Gebäudes bespielen.

295528_10151970648901562_740551845_n

Robert Sochacki bespielt die Fassade des Wiedenhofs.

 

An der Bahnhofstraße kommt während der LichtRouten 2013 durchaus Historisches zusammen. Die Geschichte des Wiedenhofs ist eng mit der Historie Lüdenscheids verknüpft. Sie reicht bis in 9. oder 10. Jahrhundert zurück. 1067 wurde der Pfarrgrund Wiedenhof erstmals urkundlich erwähnt. Er diente als wirtschaftliche Grundlage für die Pfarrei, die ohne ihn nicht existieren konnte. Unter anderem wurden Obst und Gemüse angebaut. Einen starken historischen Bezug haben auch die Arbeiten von Robert Sochacki.

Videoperformances, Installationen und Interventionen, Kostüm- und Bühnenbilder sind Teil seiner vielfältigen künstlerischen Praxis. Seine Installationen erinnern an Kinofilme aus den 1920er Jahren. „Robert Sochacki nutzt eine sehr zeitgemäße Technik und greift in seinen Arbeiten eine historische Ästhetik auf“, sagt Kuratorin Bettina Pelz.  Als Projektionsgrund nutzt er gern historische Fassaden.

Volksküche, Lazarett und Hospiz

Vor diesem Hintergrund wird klar: Robert Sochacki und der Wiedenhof – das passt. So, wie sich die Lichtkunst vom gemalten Bild über das Foto sowie den Film bis zum Video immer weiter entwickelt hat, so hat sich auch der Wiedenhof ständig gewandelt. Am Standort des ehemaligen Pfarrgrunds wurde im August 1889 ein evangelisches Vereinshaus eröffnet. Es diente außerdem als Herberge. Außerdem befand sich eine Volksküche im Haus. 1909 ging das Haus direkt in den Besitz der evangelischen Gemeinde über.

Während des Ersten Weltkrieges diente der Wiedenhof drei  Jahre lang als Lazarett. 1937 wurde im ehemaligen Vereinshaus ein Christliches Hospiz (preiswerte Unterkunft) mit Gaststätten- und Hotelbetrieb eingerichtet. 1938 erhielt das Hospiz vom Presbyterium offiziell den Namen “Wiedenhof” um die alte Bezeichnung des Ortes zu erhalten. Das Hospiz wurde bis zum Jahr 1975 geführt. 1977 wurde das Gebäude der Freien Christlichen Jugendgemeinschaft für die Rehabilitationsarbeit mit Drogenabhängigen überlassen und später verkauft.

Kampf gegen Drogen

Seitdem wurden fortlaufend Sanierungsmaßnahmen durchgeführt, zuletzt am Dach und der Fassade. Derzeit sind in der Einrichtung 22 Therapieplätze belegt. Im Laufe der 30-jährigen Therapiearbeit haben über 1000 Klienten die Drogenrehabilitation des Wiedenhofs durchlaufen.

Auch die Polizei macht mit

2009-l-Danzig-l-Robert-Sochacki-l-Foto-Jennifer-Braun-11

Diese Installation von Robert Sochacki war 2009 bei einer Ausstellung in Danzig zu sehen. Foto: Jennifer Braun

Lüdenscheid öffnet sich für die LichtRouten 2013. „Aus dieser Haltung von Privatleuten und Institutionen schöpfen wir jede Menge Kraft für das Projekt“, sagt Groll. Sogar die Polizei räumt für die Dauer des Internationalen Forums für Licht in Kunst und Design vom 27. September bis 6. Oktober eine ihrer Stellflächen frei.

Auf dem Gelände der Inspektion 2 an der Bahnhofstraße wird ein Gerüst aufgestellt. Es nimmt die Hochleistungsprojektoren auf, mit denen Robert Sochacki seinen Beitrag zu den LichtRouten auf die Fassade des Wiedenhofs projizieren wird. Mehr noch: Damit das Werk des Mannes aus Danzig so richtig zur Geltung kommt, darf der Wiedenhof selbst kein Licht abstrahlen.

Licht kann auch stören

So verhandeln Tom Groll und das Leitungsteam des Wiedenhofs darüber, wie Fenster abgedunkelt und störendes Licht weitgehend vermieden werden können. Um die „Kunst der Projektion“, so das Motto der diesjährigen LichtRouten, wirkungsvoll umsetzen zu können, bedarf es eben auch jeder Menge Verhandlungsgeschick.

Was Robert Sochacki im Gepäck haben wird, wenn er aus Polen zu den LichtRouten anreist, ist noch offen. Sicher ist: „Es werden eindrucksvolle Bilder sein, die einen Bogen über 100 Jahre visueller Ästhetik schlagen“, sagt Kuratorin Bettina Pelz.

295528_10151970648901562_740551845_n

Der Mann aus Danzig: Robert Sochacki.

Robert Sochacki zählt zu den wenigen Lichtkünstlern, die mit Großbildtechnik arbeiten. Drei Hochleistungsprojektoren werden vom Polizeigelände über 18 mal 18 Zentimeter große Dias die Fassade des Wiedenhofs bespielen. Dazu kommen bewegte Bilder. Robert Sochacki knüpft an die Filme wie Charlie Chaplins „Moderne Zeiten“ an. „Moderne Zeiten“ sei die Geschichte der Industrie, des privaten Unternehmertums, der Kreuzigung der Menschheit auf ihrer Jagd nach dem Glück“, sagte Chaplin einmal über seinen Film.

Tragisch-komische Bilder

Auch Sochackis Projektionen sind tragisch-komische Bilder, die mit einfachen Mitteln, Bildwitz und Humor gestaltet sind.  Stark geprägt ist er von der DJ- und VJ-Szene im Raum Danzig. Hier ist der 1971 geborene Künstler nach wie vor aktiv. Robert Sochacki besuchte von 1991 bis 1996 die Akademie der Bildenden Künste in seiner Heimatstadt. 2011 stellt er beim Farbfest im Bauhaus Dessau aus. Über die Grenzen Polens hinaus ist er bislang eher selten in Erscheinung getreten.